Ragunath Ananthavettivelu wurde am 15. November als Landrat vereidigt. Interview: Carmen Epp/Urner Zeitung
Sie sind 1998 als Zehnjähriger mit der Familie von Sri Lanka in die Schweiz gekommen. Was hat Ihre Familie damals dazu bewegt?
Ragunath Ananthavettivelu: Wegen des Bürgerkriegs in Sri Lanka ist mein Vater 1992 in die Schweiz geflüchtet. Junge Männer wurden von der Armee festgenommen, da sie verdächtigt wurden, dass die Tamilen mit den Freiheitskämpfern zusammenarbeiten. Deshalb musste mein Vater mich im Alter von vier Jahren verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Meine Mutter und meine vier Geschwister sind im Oktober 1998 in die Schweiz gekommen. Für uns hat hier ein neues Leben begonnen.
Im Juni 2013 wurden Sie zusammen mit Ihrem Bruder in Altdorf eingebürgert. Was hat Sie dazu motiviert, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen?
Ich bin in Altdorf aufgewachsen und habe meine schulische Ausbildung hier absolviert. Uri wurde so meine zweite Heimat. Zudem hat mich die Schweizer Politik immer sehr interessiert. Ich hätte schon vor der Einbürgerung gern meine Stimme abgegeben, weil mir klar war, dass die Ergebnisse auch mich betreffen. Mitgestalten können, das war mein Wunsch. Die Haltung der SP hat mir dabei sehr entsprochen.
2020 haben Sie für die SP Bürglen für den Landrat kandidiert. Wie kam es dazu?
Mit der Einbürgerung ging für mich die Tür in die Politik auf. Meine erste politische Erfahrung habe ich in Altdorf in der Rechnungsprüfungskommission gesammelt. Dies hat meine Neugier geweckt, mich weiter in der Politik zu engagieren. 2019 bin ich nach Bürglen umgezogen. Danach wurde ich von meinen Parteikollegen angefragt, ob ich Interesse hätte, für den Landrat zu kandidieren.
Am Mittwoch werden Sie nun, als Nachrücker für Jolanda Joos, als Landrat vereidigt. Was bedeutet Ihnen das?
Es ist für mich eine grosse Ehre, die Gemeinde Bürglen im Landrat zu vertreten. Und ich bin stolz darauf, der erste «nichtweisse Landrat» im Kanton Uri zu sein.
Macht das denn einen Unterschied?
Ich finde schon! Während meiner Lehre als Augenoptiker in der Berufsschule in Zürich und während des Studiums in Basel hatten meine Freunde ein ganz anderes Bild von Kanton Uri. Sie waren immer erstaunt, wenn ich ihnen erzählt habe, wie gut ich mich hier integriert habe. Mit der ersten «Person of color» im Landrat machen wir den anderen Kantonen deutlich, dass Uri mit der Zeit geht und sich geöffnet hat.
Man spricht von «Dunkelhäutigen» oder «Person of Color»: Welche Bezeichnung bevorzugen Sie und weshalb?
Ich finde beide Bezeichnungen in Ordnung, da sie den gleichen Sachverhalt wiedergeben. Da wir heutzutage viele englische Wörter verwenden, bevorzuge ich «Person of Color», da es neutral ist. «Dunkelhäutig» ist ja aber auch nicht negativ gemeint.
Sehen Sie sich im Landrat als Vertreter von Menschen mit Migrationshintergrund?
In erster Linie sehe ich mich als Vertreter der Bürglerinnen und Bürgler, die mir 2020 ihre Stimme gegeben haben. Es ist mir bewusst, dass viele denken, dass ich nur Menschen mit Migrationshintergrund vertreten würde. Dem ist aber nicht so. Als Landrat fühle ich mich als Vertreter aller Urnerinnen und Urner. Ich habe ein offenes Ohr für jeden, unabhängig von seinem Hintergrund.
Erhoffen Sie sich Nachahmer, also dass sich Ihretwegen auch andere Menschen mit Migrationshintergrund im Landrat engagieren?
Ja, das wäre super! Ich denke, es ist sehr wichtig, dass verschiedene Menschen und Meinungen und auch junge Menschen mit Migrationshintergrund vertreten sind. Es ist immer gut, wenn man einen Sachverhalt auch mit dieser Perspektive betrachtet, auch wenn sie vielleicht ihre politische Heimat nicht in der SP finden. Ich appelliere an die jungen Leute mit oder ohne Migrationshintergrund, sich mit der Politik zu befassen.